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Hintergrund und Aktualität der Thematik

Hintergrund und Aktualität der Thematik

Über die Jugend: “…Sie haben keine Manieren und missachten jegliche Autorität … Moral und Gesellschaft nehmen sie für sich allein in Anspruch, geben ihren Eltern nichts als Widerworte und tyrannisieren zu allem Überfluss die Pädagogen…“

Dieses Zitat wird Sokrates zugeschrieben und ist somit fast 2500 Jahre alt. Es zeigt, dass Spannungen und Konflikte zwischen den Generationen kein neues Phänomen sind, sondern seit jeher Bestandteil der Gesellschaft waren. Solche Aussagen sind aber aus Sicht der älteren Generation formuliert. Aus Sicht der Jugendlichen gilt, wie eine google-Suche schnell aufzeigt, dass Eltern, „von einem anderen Stern“, „altmodisch“, „hinter dem Mond“ oder vom „Elternplanet“ zu sein scheinen.

Der Begriff „Generationslücke“ (engl. generation gap) gewann seit den 1960er Jahren vor allem in westlichen Ländern an Popularität. Er bezieht sich auf die Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Personen, häufig zwischen Kindern und ihren Eltern. Aus Unterschieden zwischen den Generationen hinsichtlich Sprache, Mode, Technologie, Interessen, Zielen, Überzeugungen, Lebensweisen und Werten entstehen innerfamiliär immer wieder Generationenkonflikte, insbesondere zwischen Eltern und Jugendlichen in der Ablösungsphase. Die Ablösung von den Eltern und die Individuation ist eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben im Jugendalter – mindestens aus Sicht der modernen, westlichen Psychologie. In traditionellen Wertsystemen und aktuell noch in grossen Teilen der Welt ist die Ablösung kaum vorgesehen, da Familienloyalität im Mittepunkt steht. In vielen Fällen geht dieser Prozess der Ablösung mit Konflikten zwischen Eltern und Kindern einher. Jugendliche orientieren sich in dieser Phase immer stärker an den Peers als an der eigenen Familie. Sie beanspruchen Freiraum und Privatsphäre. Doch genau dieser Freiraum muss häufig hart ausgehandelt werden.

Auch in der Schweiz hat unter anderem der schnelle gesellschaftliche Wandel die Lebenswelten verändert. In manchen Familien gehen die Eltern mehr oder weniger mit der Zeit. In anderen, traditionell ausgerichteten Familien werden die Lebenswelten der Eltern und ihrer Kindern immer unterschiedlicher. Das passiert insbesondere in bildungsfernen, konservativen oder isoliert lebenden Kreisen. Das Leben ist schneller geworden, alles gestaltet sich individuell und multioptional; sich längerfristig für etwas zu entscheiden, fällt häufig schwer, denn in unserer wertepluralistischen Gesellschaft gibt es kaum mehr Leitplanken, die verbindlich zu beachten sind. In den Medien und in der Literatur wird die aktuelle Generation von Jugendlichen bis 30 Jahre deshalb auch „Generation Maybe“ genannt. Schon im frühen Jugendalter weigern sich viele, sich für einen Beruf, einen Stil oder eine Identität zu entscheiden, was die Eltern heraus- bzw. überfordern kann, da sie weniger Möglichkeiten hatten und mehr Verbindlichkeit von ihnen erwartet wurde.

Diese gesellschaftlichen Entwicklungen machen sich auch in den Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern bemerkbar. Denn obwohl die Gesellschaft den Jugendlichen scheinbar unendlich viele Möglichkeiten eröffnet, sind die Heranwachsenden in manchen Familien mit klar eingegrenzten Vorstellungen der Eltern konfrontiert. Probleme entstehen häufig dann, wenn die Vorstellungen der Jugendlichen darüber, welche Schule sie besuchen, welchen Beruf sie erlernen, welche Kolleg_innen und Freunde, Freiheiten, Aufgaben, Religion oder politische Einstellung sie haben möchten, diametral den Vorstellungen der Eltern entgegenstehen.

Infolge von Migration tendieren solche Generationenkonflikte, sich zuzuspitzen. Die Eltern kommen dann nicht nur aus einem anderen Jahrhundert, sondern auch aus einem anderen Land und Kulturkreis. Sie sind sich andere Lebensweisen, Normen, Erziehungsmethoden und Traditionen gewohnt und möchten, dass auch ihre Kinder danach leben. Dass diese Thematik hoch aktuell ist, zeigen die erfolgreichen youtube-Clips von Bendrit Bajra, welche in den sozialen Medien die Runde machen und unzählige Likes erhaschen. Als Schweizer und Kosovo-Albaner greift er die Thematik auf humorvolle und dennoch lehrreiche Art und Weise auf, indem er typische Konfliktsituationen in Schweizer und ausländischen Familien überspitzt darstellt. Einige der mitwirkenden Partnerorganisationen und die vielfältigen Steuergruppenmitglieder berichten, dass solche Dynamiken auch bei manchen afghanischen, eritreischen, somalischen, tamilischen und arabischen Familien vorhanden sind.

In Präventionsprogrammen wird der Aspekt der Herkunft oft nicht berücksichtigt (Übersicht von Eisner, Ribeau und Bittel, 2006 zum Thema Prävention von Jugendgewalt, S. 38ff.). So ist für Eltern mit Migrationshintergrund beispielsweise eine klare Unterversorgung im Bereich Elternbildung festzustellen.

Unabhängig davon aus welchem Land die Eltern kommen oder welche Vorstellungen ihr Erziehungshandeln leiten, haben sie auch einen ethischen und rechtlichen Erziehungsauftrag und wollen das Beste für ihre Kinder. Doch wann und worüber sollten Jugendliche selber bestimmen können und was dürfen die Eltern ihnen vorschreiben?

Mit diesen Fragen müssen sich wohl fast alle Familien immer wieder auseinandersetzen und Antworten darauf zwischen den Generationen explizit oder implizit aushandeln. In manchen Familien gehen die Konflikte darüber so weit, dass sie zu einer Belastung für alle werden, Interventionen gesucht oder angeordnet werden oder die Familie auseinanderzubrechen droht bzw. auseinanderbricht.

Nach Ansicht von NCBI Schweiz und der Steuergruppe sind Generationenkonflikte eine Thematik, der aber nach wie vor (zu) wenig Bedeutung geschenkt wird. Ratgebende unterstützen hauptsächlich bildungsnahe Eltern. Jugendliche, welche mit dieser Problematik zu Hause konfrontiert sind, sind häufig auf sich alleine gestellt. Dabei können die Folgen solcher Konflikte für die Jugendlichen weitreichender sein als einfach „ein bisschen Streit zu Hause“. Auch wenn Ablösungsprozesse und damit verbundene Reibereien als notwendig angesehen werden können, muss bedacht werden, dass Generationenkonflikte auch negative Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden, die Gesundheit und Entwicklung von Jugendlichen – bis hin zu häuslicher Gewalt, Selbst- oder Fremdgefährdung – haben können. Es ist wichtig, dass sich Jugendliche nicht alleine mit der eigenen Familiensituation auseinandersetzen müssen, sondern konstruktive Strategien entwickeln können, mit Generationenkonflikten umzugehen.